Seyfarth, L., in: G. Leidloff: "l o g - i n / l o c k e d  o u t", in: O. Breidbach, K. Clausberg und K.P. Dencker (Hg.): Video, ergo sum, Hamburg 1999


 

[...] By photographing and filming people, who cannot communicate, making them subjects of her art, led Gabriele Leidloff to become aware of the broader problems associated with communication. The shift in time observable in those suffering under locked-in syndrome simultaneously indicates a problem in synchronity of motion. [...] Gabriele Leidloff's l o g - i n / l o c k e d o u t questions the alleged superiority of the artistic intention and thereby adds to a discussion about communication, perception, and pictures, in which art and science are no longer in conflict.

Ludwig Seyfarth
Art critic, Hamburg


 

Was hält die Wissenschaft von der Kunst? Im Kunstforum (Nr. 144, März/April 1999) konstatiert Jürgen Raap die "frustrierende Erfahrung, daß Forscher sich oftmals gar nicht für das interessieren, was Künstler machen". Dieses Desinteresse liegt wohl daran, daß Naturwissenschaftler nicht viel für Intentionen übrig haben. Was Menschen ausdrücken wollen, ist nie so aufregend wie das, woran sich in der Natur etwas zeigt. Gabriele Leidloff wurde sich einerseits des Problems bewußt, Menschen, die nicht von sich aus kommunizieren, zu fotografieren oder zu filmen und dadurch zum Material ihrer Kunst zu machen. Die im Locked-in Syndrom zu beobachtende Verschiebung des zeitlichen Ablaufs implizierte zugleich das Problem der Synchronizität von Bewegungsabläufen. Die technischen Medien haben Bewegung darstellbar gemacht, indem sie ihren Ablauf zerlegten. Dabei entstand auch ökonomische Kunst. Um die Arbeiter wirtschaftlich ertragreichste Verhalten zu lehren, visualisierte der amerikanische Betriebsingenieur Frank D. Gilbreth um 1912 den Verlauf ihrer eigenen Körperbewegungen. Eine an der Hand oder am Arm befestigte Lichtquelle hinterließ eine Spur auf dem Photopapier. Diese Linie wurde bisweilen sogar als Drahtplastik ausgeführt, um die Bewegung auch räumlich anschaulich zu machen. "Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar", schrieb Paul Klee. Macht die Kunst diese Prozesse sichtbar? Zur Befriedigung eines Neurowissenschaftlers kaum. Vielleicht hätte eine Photographie Klees mentale Syntax sichtbar machen können, oder eine Röntgenaufnahme oder eine Computertomographie. l o g - i n / l o c k e d  o u t  von Gabriele Leidloff stellt die angebliche Überlegenheit der künstlerischen Intention in Frage und kann so zu einer Diskussion über Kommunikation, Wahrnehmung und Bilder beitragen, die Kunst und Wissenschaft nicht mehr gegeneinander ausspielt.

Ludwig Seyfarth
Kunstkritiker, Hamburg